Interview mit Winnie Forster
Veröffentlicht am 01.12.2008

Kultpower:
Dein letztes Buch ist im Jahr 2005 erschienen. Was hast du seitdem beruflich so gemacht?
Winnie:
Seit 2005 kümmerte ich mich um die Vermarktung der erschienenen Gameplan-Bücher sowie um die Entwicklung des Lexikons der "Spielmacher" (GPX) und des 2009er-Updates von "Spielkonsolen ...". Andere Tätigkeiten - hier und da mal einen Fachartikel oder Vortrag, ab und an Hilfe für andere Firma oder akademische Arbeit - fallen dagegen zeitlich kaum ins Gewicht.
Kultpower:
Worum geht's in deinem neuen Buch "Computer- und Video-Spielmacher"? Wie ist GPX aufgebaut?
Winnie:
GPX beschreibt und zeigt die Menschen sowie die Teams und die Firmen hinter vier Computerspiel-Jahrzehnten. In den anderen Büchern fielen zugunsten von Technik und Hardware die Macher und Kreativen ziemlich unter den Tisch. Auch legendäre Software-Firmen wie Infocom und Microprose in den USA, NCS oder Toaplan in Japan, Alligata oder Hewson in England spielten in GP1 und GP2 nur eine Nebenrolle. GPX soll frühere Gameplan-Bücher nicht wiederholen, sondern ergänzen. Neben dem inhaltlichen Schwerpunkt ist der Aufbau ganz anders: Keine Chronologie von 1972 bis heute, sondern ein sachliches Lexikon (daher das X im Kürzel) - Menschen und Firmen alphabetisch, mit Querverweisen, Bildern und ein paar Tabellen. Ziel war eine möglichst hohe Infodichte. Ein halbes Jahr verbrachten wir allein damit, jedes überflüssige Wort zu streichen, Formulierungen zu straffen und zu kürzen, Redundanzen auszumerzen. In dieser Beziehung ist GPX den anderen Büchern ähnlich, aber halt viel text-lastiger. Im Optimalfall findet der Leser in GPX Alles was er über die Macher, Werdegang, Erfolge und Scheitern, sprich: die Geschichte und Gegenwart des Mediums, wissen möchte. In grafischer Hinsicht waren Lesbarkeit und "Bedienungsfreundlichkeit" das oberstes Ziel. GPX soll Infos möglichst schnell und übersichtlich an den Leser weitergeben.
Kultpower:
Welchen Zeitraum behandelt das Lexikon?
Winnie:
Den gesamten Computer- und Videospiel-Zeitraum, vom Anfang der 70er-Jahre bis heute. Bei einigen Firmenporträts und Biografien geht GPX über "Pong" hinaus, zurück in die 30er-, 40er- und 50-Jahre. Das sind jedoch Ausnahmen; die letzten vier Jahrzehnte bilden den GPX-Schwerpunkt. GPX soll historisch tief, aber gleichzeitig up-to-date sein. Das letzte inhaltliche Update machten wir - Gameplan-Tradition - am Tag des Druckbeginns.
Kultpower:
Wie kamst du auf die Idee, ein Buch über "Spielemacher" zu schreiben?
Winnie:
Wie bei GP1 sehe ich hinter GPX weniger eine Idee, als eine Notwendigkeit. Das Buch hat mir für meine Arbeit und für mein Videospiel-Hobby gefehlt. Ich wollte mir neben einem Katalog der Hardware auch endlich ein Lexikon der Computer- und Videospiel-Menschen ins Regal stellen. Und es anderen, die sich für Medium und Branche interessieren, zugänglich machen.
Kultpower:
Wann ist jemand überhaupt ein "Spielemacher" für dich?
Winnie:
Definieren wir besser, was ein "Spielmacher" im Rahmen des Buchs ist: Ein Mensch der maßgeblich an der Entwicklung, sekundär auch Produktion kommerzieller Konsolen-, Computer- oder Automatenspiele beteiligt ist. Spieldesigner, -programmierer und -produzenten sind "Spielmacher". GPX stellt auch einige Grafker und Sound-Profis vor, aber der Schwerpunkt liegt auf den drei genannten, übergreifenden Tätigkeiten. Reine Unternehmer (wie z.B. Trip Hawkins) kommen im Lexikon zwar vor, erhielten aber keinen eigenen biografischen Eintrag. Im Gegensatz zu Firmenchefs wie Doug Carlston (Broderbund) oder den Darling-Brüdern (Codemasters) - zu denen gibt’s in GPX eigene Biografien, weil sie nicht nur Spiele verkauften, sondern zu Beginn ihrer Karriere auch selbst "machten". Die Auswahl der Personen war kniffliger als die der Firmen. Aus einer sechstelligen Zahl von "Spielmachern" musste ein Promille herausgegriffen werden. Auf der Hand lagen die aktiven und unbestrittenen Meister (Miyamoto, Meier, Molyneux, um aus "M" ein paar herauszugreifen). Auch würdigt das Buch die Pioniere, die sich anderer Beschäftigung und Industrie zuwandten und es bei wenigen Fußspuren in der Spielbranche beließen. Einträge erhielten z.B. Atari-Veteranen wie Crockford, Lanier und Robinett, oder Apple-Bauer Wozniak. Dazu kommen aktuelle Stars und Größen, ein paar Genies, die als Technik-Lieferanten hinter den Kulissen wirken sowie eine Handvoll Programmierer, deren Karriere exemplarisch für einen Zeitabschnitt, eine Denk- oder Arbeitsweise stehen. Die britischen Antipoden "Smith, Matthew" und "Evans, Eugene" fanden z.B. ins Buch um konträre Weg zum Game-Design-Ruhm (und wieder heraus) aufzuzeigen.
Kultpower:
Wie verliefen deine Recherchen? Hast du viele der Personen selbst kennengelernt?
Winnie:
Knapp die Hälfte der Porträtierten traf ich persönlich, mit einem Drittel tauschte ich Mails. Ein paar der Macher wie z.B. den 1997 verunglückten Game-Boy-Erfinder Gunpey Yokoi hatte ich leider nie persönlich getroffen oder gesprochen.
Kultpower:
Welche Begegnung ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
Winnie:
Eigentlich wollte ich ich diese Frage mit einem "Jede Begegnungen blieb in Erinnerungen!" abtun, aber ein GPX-Ereignis gab's doch, das mich besonders berührte: Ein englischer Programmierer, der mir für das Lexikon biografische Daten und Infos zu seinen Firmen lieferte, trat ein Jahr nach unserer Kommunikation per eMail auf mich zu: Ob GPX nun gedruckt, seine Biografie erschienen sei? Ich war überrascht, da sich internationale Kontakte, selbst wenn sie bei Gameplan-Inhalten helfen, gewöhnlich nicht für die deutschen Bücher interessieren, Gameplan zwar unterstützen, bislang aber nie nach einem dt. Belegexemplar fragten. Den Engländer vertröstete ich auf Ende 2008, wofür er sich bedankte. Zwei Monate später erfuhr ich von seinem Tod; seine fatale Diagnose sei ihm schon lange bekannt gewesen. Ich verstand, dass sein Nachfragen einen anderen Grund hatte als z.B. das Drängeln ungeduldiger Leser, die auf GP3 warten. Er wollte nicht wissen, wann der ihn betreffende Text erscheint, sondern ob er noch rechtzeitig erscheint, ob er die Würdigung seiner Person noch erleben würde.
Kultpower:
Bei welchen Inhalten deines Buches waren die Recherchen am schwierigsten?
Winnie:
Ironischerweise sind Inhalte, die im Internet reichlich behandelt werden, journalistisch schwieriger als Nicht-Mainstream-Infos: Je mehr zu einem Menschen, Spiel oder einer Firma publiziert ist, desto kniffliger ist die Aufgabe, das Relevante und das Korrekte zu filtern, Fehler zu erkennen und überflüssiges Blabla oder gar Propaganda zu verwerfen. Eine Information, die Gameplan aus ersten Hand erhält, konnte ich in Biografien übernehmen. In dem Moment aber, in dem Fachpresse, Wikis, Spieledatenbänke und offizielle Pressemitteilungen durcheinanderquasseln und sich widersprechen, werden alle zusammen nutzlos. Neben den genannten Medien und persönlichen Kontakten nutze ich für GPX alte englische, amerikanische und japanische Fachzeitschriften, vergilbtes Papier mit Texten von Garriott, Bunten, Crawford & Co. Manch Anno-1983-Electronic Games, CGW oder C&VG löste sich unter meinen Händen auf, als ich das alte Papier vom Archiv ans Licht des Arbeitsplatz holte
Kultpower:
Gab es vor "Spielmacher" vergleichbaren Bücher auf dem (internationalen) Markt?
Winnie:
Im Westen gibt es nach meinem Wissen noch kein Buch oder Nachschlagewerk zu Machern und Firmen. Einige der bekannten US-Video-Game-Bücher sind wesentlich "Menschen-lastiger" als GP1 oder GP2, aber auch Kent, Sheff, Kohler & Co. beschäftigen sich mit den Machern nicht in geordneter Form, sondern in zusammengewürfelten Anekdoten. Online-Datenbänke wiederum sind ganz gut, wenn es um Infos zu amerikanischen Machern geht, aber schwach wenn man sich für eine japanische Firma oder gar für einen (historischen oder aktuellen) Entwickler aus einem "Schwellenland" interessiert. Auch bringt die freie Editierbarkeit von Online-Enzyklopädien inhaltliche Probleme, die Bücher oder andere Werke, für die ein Chefredakteur verantwortlich zeichnet, nicht haben. Während GPX im Westen wohl das erste Buch seiner Art ist, erscheinen in Japan regelmäßig Bücher und Mooks die sich mit dem Firmen und Personen der Branche befassen; entweder akkurate Übersichten über aktuell aktive Firmen oder aber Auswahlen mit Biografien "historischer" Spielmacher und Interviews; beides zusammen oder ein übergreifendes Lexikon, das Geschichte und Gegenwart verbindet, gibt’s afaik auch in Japan nicht. Ebenso wichtig wie die zeitliche Dimension ist Gameplan die räumliche Breite. Koreanische Software-Verbände berichten z.B. über regionale Macher, kümmern sich in ihren aufwendig gemachten "Directorys" aber natürlich nicht um andere Länder. Gameplan-Bücher versuchen unterschiedliche Zeiten und Regionen zusammenzufassen.
Kultpower:
Was für ein Gefühl ist es nun, das Buch fertiggestellt zu haben?
Winnie:
Nachdem Gameplan bislang nur alle paar Jahre ein Buch veröffentlichte, ist jede Fertigstellung etwas ganz Besonderes So richtig gut fühle ich mich jetzt, wo die Daten im Druck sind, noch nicht. Erst wenn die fertigen Bücher ausgeliefert wurden, vor mir liegen und OK sind, wird sich meine "Hoffentlich geht nix mehr schief!"-Paranoia in zufriedene Gelassenheit verwandeln.
Kultpower:
Ich kann mir vorstellen, dass du nicht selber die ganze Welt bereist hast, um mit den Spielemachern zu reden...
Winnie:
Die ganze Welt nicht, ab jene Regionen in denen 90% aller Spielmacher siedeln (USA und UK, Zentral-EU und Japan) besuchte ich, durchleuchtete Firmen und sprach mit Entscheidungsträgern und Kreativen. Manchmal nahm ich auch an internen Beratungen und Entwicker-Meetings teil, aber das geschah nicht explizit fürs Lexikon, sondern für andere Tätigkeiten in der Spielindustrie.
Kultpower:
Wer hat dich bei deinen Arbeiten unterstützt?
Winnie:
Die üblichen Verdächtigen, Journalisten, Techniker und Spielprofis. Der langjährige Screenfun-Redakteur Michael Stapf half bei Analyse der zeitgenössischen Industrie, ebenso der Schweizer Journalist Marco Rohner. Der deutsche Retro-Fachmann Thomas Grauel wühlte mit uns in Infos und Pixel des vorangegangenen Jahrhunderts. In der Endphase und den letzten Korrekturzyklen sprang Ex-Man!ac und Print-Routinier Stephan Freundorfer Gameplan bei. Ein starker Partner ist auch der Cybermedia Verlag (M!, Audiovision, Mobile Gamer).
Kultpower:
Das erste GAMEplan-Buch ist auch in englischer Sprache erschienen. Hat sich diese Entscheidung aus heutiger Sicht gelohnt?
Winnie:
Die Bücher ließen sich leicht verkaufen und fanden international wie in Deutschland eine gute Aufnahme. Trotzdem war "Encyclopedia of Game.Machines" eher ein Erfahrungs- als Geldgewinn. Mit Versand und Verschiffung, Steuer, Zoll und internationalem Geldverkehr beschäftigte ich mich für Game.Machines erstmals global, ächz. Die meisten der 5000 englischen Bücher landeten in den USA: Der Dollar stand im VK-Zeitraum historisch tief (und stieg erst wieder, als dort das letzte Buch verkauft war , gleichzeitig war die US-Verschiffung maximal teuer und wg. paranoider US-Einfuhrbestimmungen (bis hin zum Material der Paletten) umständlich; pro Buch blieb nicht viel Gewinn hängen, wenn man Aufwand und Nebenkosten abzieht. Unbezahlbar sind natürlich die neue Erfahrung, international zu vermarkten, sowie die netten Menschen und starken Kontakte, die Gameplans erste übersetzung rund um den Globus aktivierte.
Kultpower:
Wird es vielleicht sogar eine englischsprachige Ausgabe von "Spielemacher" geben?
Winnie:
Ja. Aber das dauert noch, denn zuerst kommt in englischer Sprache ein Update von "Game.Machines".
Kultpower:
Wann wird "Spielemacher" erscheinen und was wird es kosten?
Winnie:
Laut Druckerei wird in der dritten Dezemberwoche ausgeliefert, so dass alle die nun auf gameplan.de, maniac.de oder bei einem anderen Gameplan-Partner bestellen, Weihnachten ihr Buch haben ... müssten.
Kultpower:
Was macht dir beim Schreiben der GAMEplan-Bücher am meisten Spaß? Das Recherchieren? Das Feedback der Leser?
Winnie:
Mir machen alle Aspekte der verlegerischen Arbeit Spaß, wegen der Mischung unterschiedlicher Tätigkeiten. Habe ich mich mehrere Tage durch Videospiel-Geschichte und Daten gewurschtelt, bin ich froh mich wieder mit Fragen der Produktion oder des Vertriebs zu beschäftigen. Nach einer Woche der schrifstellerischen Arbeit (die recht einsam ist), brauche ich wieder ein paar Tage der Kooperation mit Textern, Designern oder Fotografen. Das Feedback der Leser ist für mich genauso spannend, wie eine Diskussion mit dem Art Director oder der Austausch mit Handel und Presse. Jede einzelne der Tätigkeiten könnte auf Dauer langweilen; aber alles zusammen, zeitlich flexibel arrangiert, macht Sinn & Spaß.
Kultpower:
In unserem letzten Interview sagtest du, dass "GP3: Software" schon in Arbeit sei. Wie ist der aktuelle Stand?
Winnie:
GP3 ist unverändert in Arbeit. Das Buch wurde von GPX überholt und auch die GP1-Neuauflage sowie eine übersetzung aus dem englischen werden noch vor "Software" erscheinen. Ab Frühjahr 2009 wendet sich Gameplan diesem Buch wieder zu.
Kultpower:
Gibt es neben dem Software-Buch noch weitere Projekte bzw. Bücher, an denen du arbeitest? Hast du schon wieder neue Ideen?
Winnie:
Der Fahrplan für 2009 ist ziemlich klar: Nach GPX erscheint im Frühjahr die erweiterte 2009er-Ausgabe von "Spielkonsolen" (GP1). Im Frühsommer folgt die deutsche Fassung eines US-Buchs, das wir lokalisierten und durch Farbfotografie erweiterten (GPVC). Sowohl GP1 und GPVC sind seit 2007 in Arbeit und werden nun hintereinander fertig gestellt. Erst danach stehen GP3 und englische übersetzungen auf der Agenda. Auch hält Gameplan Ausschau nach guten englischsprachigen Büchern, die wir nach Deutschland bringen könnten, und nach guten Texten und Mansuskripten deutscher Autoren. Im Vergleich zu Japan sieht's im Westen immer noch ziemlich mau aus, was Videospiel-Fachliteratur und -Autoren angeht.
Kultpower:
Was machst du momentan so, wenn du nicht gerade an einem Buch arbeitest?
Winnie:
Das hängt vom Wetter ab Im Sommer 08 bretterte ich meist mit dem Fahrrad durch Gelände oder stand auf irgendeinem bayrischen Hof hinter einer Tischtennisplatte. Von Freunden und Familie abgesehen, verbringe ich natürlich viel Zeit mit Medien, Videospiel, Büchern, Vinyl. Für Film bleibt wenig Zeit. TV habe ich gar nicht.
Kultpower:
Wie viele Powerplay- und Videogames-Ausgaben besitzt du?
Winnie:
äh... Genau weiss ich das nicht, und möchte jetzt auch keine versiegelten Kartons aufbrechen, um zu zählen. So viele Hefte wie Du, Gene, dürfte Gameplan nicht besitzen. Ich versuche exakt einen Satz aller Powerplay-Ausgaben und einen Satz aller Videogames (bis zum Abgang von Martin Gaksch & Co.) zu halten.
Kultpower:
Wie oft - außerhalb deines beruflichen Lebens - hast du mit Dingen aus dem Bereich Computer- und Videospiel zu tun?
Winnie:
Ist das eine verschlüsselte Formulierung der "Wie viel spielst Du privat?"-Frage? Falls ja lautet die Antwort: Das wechselt mit Jahreszeit und - siehe oben - Wetter. Mehr als mit der PS3 beschäftigte ich mich 2009 mit Nintendo DS, auch um mit meiner Tochter zu spielen, die bei den harten "Professor Layton"-Rätsel nach Hilfe ruft. Stationär wechsel ich zwischen modern und alt; zuletzt liefen Mega Drive und Wii. "Call of Duty 4" habe ich natürlich gespielt, das zweite "LocoRoco" oder "Patapon" leider noch immer nicht
Kultpower:
Winnie, herzlichen Dank für dieses Interview. Bis zum nächsten Buch!

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